Outtake 1 Achnorion 3

Outtake 1 Achnorion 3

Der oberste Befehlshaber der Fayman nahm den Finger von den Lippen, kippte in einer fast schon trägen Bewegung den Stuhl nach vorne und nickte ihnen zu, als seien sie alte Bekannte. »Setzt euch«, sagte er knapp.

Beron schnappte sich einen Stuhl, bevor er doch noch fortgeschickt wurde. Garec jedoch rührte sich wenig überraschend nicht von der Stelle.

»Ich verlange, zu erfahren, wer Ihr seid«, sagte er steif.

Der Heerführer schien sich nicht sonderlich an dieser Formulierung zu stören. »Ich bin Warkan, der neue Statthalter Nyrstads. Und Ihr seid Prinz Ethinios, der Fayman zu seinen Freunden zählt.« Ein schwer zu deutender Blick traf Beron.

»Nyrstad?«, fragte Garec schrill. Auf seinen Wangen erschienen die roten Flecken, die Beron nur zu gut kannte.

Warkan hob das Kinn. »Aulona existiert nicht mehr.«

»Ihr glaubt, Ihr könnt diese Stadt euer eigen nennen, nur weil ihr sie umbenennt?«, entgegnete Garec spitz.

Der Statthalter schüttelte unbeeindruckt den Kopf. »Nicht deswegen. Eher, weil wir sie erobert haben und noch immer halten. Unsere Nachschublinien sind intakt und der halbe Süden Ceregors paktiert mit uns. Auch wenn die Dinge anders gelaufen sind als geplant, gehört die Stadt uns. Doch ich habe Euch nicht rufen lassen, um meine Entscheidungen zu diskutieren.«

»Weshalb dann?«, schnappte Garec und setzte sich vorsichtig auf die Kante des Stuhls neben Beron. »Wollt Ihr meinen Vater erpressen?«

Beron fand es nicht besonders klug, den Statthalter auf diesen Gedanken zu bringen, doch Warkan schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Auch wir haben Spione, Ethinios. Die alles andere als gute Beziehung zwischen Euch und dem König ist nicht gerade ein Geheimnis. Wir kämpfen seit Jahrhunderten gegen euch und wissen genau, wie grausam die Ceregorin sind. Nein, solange Eure verdammte Thronfolge nicht in Gefahr ist, schert sich Euer Vater nicht darum, ob Ihr sterbt.«

Bei den Worten war Garec unwillkürlich zusammengezuckt und Berons Eingeweiden begannen schon wieder zu verschwinden. Das war nicht gut. Er hatte fest damit gerechnet, dass die Fayman Garec als Geisel wollten. Das hätte ihn zumindest für eine Weile beschützt, doch so …

Das Gesicht des Königssohnes war ein einziges Fragezeichen. Warkan strich mit der Hand über den Tisch und beobachtete sie aus sehr wachen Augen. »Ich wollte den Mann kennenlernen, der uns so viel Ärger bereitet hat«, sagte er dann, stand auf und nahm von einem Tischchen in der Ecke drei Becher und einen Krug. Sorgfältig schenkte er alle drei Becher voll mit einer tiefroten Flüssigkeit, die vermutlich Wein war. Er stellte zwei davon vor ihnen ab, setzte sich, schlug die Beine übereinander und begann wieder, auf dem Stuhl zu kippeln.

Das war alles verflucht seltsam, fand Beron. Er gab vor, von dem Wein zu trinken und fing Garecs hilflosen Blick auf. Er konnte förmlich sehen, wie Jungchen um Fassung rang. Er selbst zerbrach sich den Kopf, ob ihnen das Wissen aus Eskarios’ Brief irgendetwas nützte, aber so wie die Dinge standen, würde es alles nur schlimmer machen.

»Sie haben Euch einen Thron gebaut«, meinte Warkan schließlich.

»Ich hatte nicht vor, mich darauf zu setzen«, gab Garec zurück und nippte geziert an seinem Becher. Beron hoffte, dass er nicht wirklich trank. Wer wusste schon, wie weit dieser Statthalter ging, um an Informationen zu kommen?

Warkan lachte leise. »Ich habe Euer Spektakel auf dem Turm miterlebt. Ich muss schon sagen, Ihr wart ziemlich überzeugend. Fast hätte ich Euch geglaubt, dass Ihr auf keiner Seite steht. Doch irgendwann kommt es immer heraus, nicht wahr?«

Die roten Flecken auf Garecs Wangen wurden größer. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«

Der Statthalter nahm einen tiefen Zug und stellte seinen Becher mit einem Knall ab. »Spione kann man in die Irre führen. Laut unseren Informationen ist der Königssohn Ethinios ein versponnener junger Mann ohne jegliche herrschaftliche Begabung. Was sie nicht bemerkt haben, ist dass Ihr außerdem ein exzellenter Schauspieler seid.«

Bevor Beron an sich halten konnte, prustete er los und verschüttete ein bisschen Wein über den Tisch. Aber es war auch wirklich zu komisch, denn gerade in diesem Augenblick bewies Garec, dass er das schauspielerische Talent einer Hausmaus besaß. Er starrte den Statthalter mit offenem Mund an.

Warkans Miene hatte sich verfinstert. Er stellte den Stuhl ab, legte beide Hände flach auf den Tisch und fixierte den konsternierten Garec, der sich an seinem Weinbecher festhielt. »Euer Spiel ist zu Ende, Hoheit. Mit der Rede auf dem Turm habt Ihr den Bogen überspannt. Sie war ein bisschen zu gut. Niemand nimmt Euch ab, dass Ihr einfach nur Frieden wollt. Hinter der Maske des arglosen Königssohnes spielt ihr ein perfides Spiel. Ich werde herausfinden, für welche Seite Ihr spielt, das schwöre ich. Ich rate Euch, Euch nicht allzu stur zu stellen.«

Jetzt konnte Beron nicht anders, er lachte los. Es war wirklich zu komisch. Jungchen war einfach zu verrückt für diese kaputte Welt. Er konnte mit größtem Ernst für seine Werte eintreten und alle glaubten, dass er nur ein gewiefter Schauspieler war. Weil die Wahrheit keinen Platz hatte in diesen engen Köpfen. »Jungchen, hast du das gehört?«, prustete er. »Der Kerl will …«

Doch Garec schnitt ihm mit einer so herrischen Geste das Wort ab, dass er abrupt verstummte. Mit der anderen Hand stellte er seinen Becher vorsichtig auf dem Tisch ab. »Du hast es gehört, Beron«, sagte er. »Das Spiel ist vorbei. Ich wurde entdeckt.«

Beron musste sich auf die Lippen beißen, um jetzt nicht seinerseits mit offenem Mund zu starren.

»Heerführer Warkan hat natürlich recht«, fuhr Garec fort und Beron war sich nicht sicher, ob der Fayman den bitteren Unterton genauso heraushörte wie er. »Niemand wäre so verrückt, in einem Krieg wie diesem einfach nur Frieden zu wollen. Er hat mich dabei ertappt, meine eigenen Ziele durchsetzen zu wollen und es hat keinen Sinn, länger zu schweigen. Ich will gestehen.«

Warkan sah zu gleichen Teilen misstrauisch und beruhigt aus.

»Ich habe gewisse Talente, wie Ihr schon bemerkt habt, Heerführer. Als die Fayman angriffen, befand ich mich bereits unerkannt in der Stadt und war mit Hilfe einiger Aulaner dabei meinen Plan in die Tat umzusetzen.«

»Welchen Plan?«, Warkan runzelte die Stirn.

»Den Plan, Aulona als eigenständiges Herrschaftsgebiet zu regieren«, sagte Garec seelenruhig und um ein Haar hätte Beron nach Luft geschnappt. War Jungchen wahnsinnig geworden?

Doch Garec fuhr bereits fort: »Die Stadt Aulona strebt seit Jahrhunderten danach, unabhängig vom Reich zu werden, eine Tatsache, die auch ihr euch zunutze gemacht habt. Denn nur deswegen haben euch gewisse Individuen die Tore geöffnet. In Rosolaris trachtete man mir nach dem Leben und sicherlich würde ich nie den Thron besteigen. Da sah ich mich nach Alternativen um. Bis Faydan Aulona angriff, war es nicht mehr als ein ferner Traum, doch dann, im Chaos der Besatzung, sah ich meine Chance. Und es ist mir fast geglückt. Aulona liegt mir zu Füßen.«

Das war die mit Abstand wildeste Lüge, die Beron je gehört hatte und er konnte nicht fassen, dass sie ausgerechnet aus Garecs Mund kam.

Warkan starrte ihn an und wies dann mit dem Daumen auf Beron. »Wenn das stimmt, was tut er dann hier?«

Für einen Augenblick schwamm Garec, dann fasste er sich. »Es gibt mehr Kontakte zwischen Fayman und Ceregorin als die meisten wissen«, sagte er schließlich. »Vor allem im Bereich des Schwarzmarktes. Mir war klar, dass ein kühner Plan einen Beschützer braucht und ich erwog es zu diesem Zeitpunkt, Faydan um Hilfe zu bitten. Deswegen war Beron da. Doch am Ende kam mir Faydan zuvor.«

Der Statthalter verharrte noch immer regungslos. »Eine seltsame Geschichte«, sagte er schließlich.

»Seltsamer als die Vorstellung, ich könnte den Frieden wollen?«